Die innere Stimme (wieder)finden – Die Dialogische Haltung in der Arbeit mit Eltern

 

Vor ungefähr zehn Jahren, mein Sohn ging noch in den Kindergarten, erlebte ich einen recht bizarren Moment: Wir befanden uns an der Garderobe und ich wurde ungeduldig und auch ziemlich barsch, weil ich es eilig hatte und mir die Art meines Sohnes sich umzuziehen viel zu langsam erschien. Das Bizarre bestand darin, dass ich am Vorabend genau hier in der Kita als Referent im Rahmen eines thematischen Elternabends einen Vortrag hielt – Thema: Konfliktlösung mit Kindern im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Die Szene an der Garderobe, nun ja, stand wohl eher für eine Art des Umgangs mit Kindern, die es mithilfe der Gewaltfreien Kommunikation zu überwinden gilt.
Im Nachgang dämmerte mir so einiges – z.B. dass da noch ein gutes Stück Weg vor mir liegt, bis ich Gewaltfreie Kommunikation als gelebte Haltung auch in schwierigen Situationen praktizieren kann – und dass mir die Rolle des von Elternabend zu Elternabend düsenden Bescheidwissers vom Dienst so gar nicht liegt, weil die Gefahr besteht, dass es am Ende nicht mehr authentisch ist, was ich dort von mir gebe: Zu komplex und verzwickt sind die alltäglichen Herausforderungen und Fragen des Lebens an uns, zu  individuell verschieden die Kinder und Eltern, als das sie alle unter den „Hut“ eines Fachvortrages passen könnten.
Dieses und andere Erlebnisse führten mich zu Frage nach einer Form von Elternbildung, in der es nicht um die Vermittlung von Expertenwissen geht, sondern vielmehr um ehrlichen Austausch, in dem die Anwesenden – einschließlich ich – voneinander lernen können und in dem neben dem Teilen von guter Praxis auch Erfahrungen des Scheiterns vorkommen dürfen.
Etwas später stieß ich auf das Konzept „ELTERN STÄRKEN“ von Johannes Schopp, welches auch mich darin bestärkte, Elternkurse und thematische Elternabende fortan auf der Grundlage eines dialogischen Ansatzes anzubieten.

Was ist unter „Dialog“ bzw. „dialogischer Haltung“ im Zusammenhang mit Elternbildung zu verstehen?

Im Dialog mit Eltern vermittle ich kein „pädagogisches Handwerkszeug“, versuche nicht, sie durch Training zu Änderungen im Denken und Handeln anzuhalten und erstelle keine Diagnosen oder Analysen. Die Idee, mich auf diese Weise zurückzunehmen, beruht auf der Einsicht, dass jede Familie einzigartig ist, und dass ihren spezifischen Eigenheiten und Problemen nicht mit vermeintlich allgemeingültigen Ratschlägen, Konzepten oder Trainingsmethoden beizukommen ist. Vielmehr braucht es einen Raum jenseits von falsch und richtig, der dazu einlädt, Persönliches und Wesentliches von sich zu erzählen und sich anderen Sichtweisen zu öffnen – einen Raum, in dem sich achtsames Zuhören, erkundendes Fragen und gemeinsames Nachdenken entfalten können.
So kann jeder und jede ihren Themen und persönlichen Fragestellungen nachgehen, oder aus der Fülle der Beiträge die passenden Antworten für sich ableiten. Für gewöhnlich stoßen wir  aber auch auf neue, weiterführende Fragen.
Diese Haltung, fern von Belehrung und Diagnose, wirkt sich immer wieder entlastend und inspirierend auf die Kommunikation in den Gesprächsrunden aus und sorgt für Momente echter Begegnung. Die Gesprächspartner fühlen sich gesehen und sind bereit, sich von dem was sie hören, berühren zu lassen.

Im Grunde geht es darum, dass die teilnehmenden Eltern im wertschätzenden Dialog ihre innere Stimme (wieder) hören können, um gestärkt und ohne das Gefühl der Abhängigkeit von der Meinung diverser ErziehungsexpertInnen die „Baustellen“ ihres Familienalltages anzugehen.

Was konkret geschieht in dialogischen Elternkursen?

Am Beginn der Beschäftigung mit einem Thema stehen in der Regel die Auseinandersetzung mit Fragen, eine Geschichte, ein Videoclip oder eine Übung. Danach – die Teilnehmenden sitzen in einem Kreis – lädt der Leiter oder die Leiterin zum Dialog ein: Was bewegt Sie nach der Beschäftigung mit diesen Fragen/der Geschichte/der Übung etc. Was möchten Sie teilen?

Die eigentliche „Kunst“ besteht nun darin, den sich anbahnenden Austausch auf eine Weise zu begleiten, dass Raum für wesentliche Beiträge, Vielfalt und aufmerksames Zuhören entsteht. Manchmal ist es hilfreich sich zurückzuhalten, manchmal braucht es aber auch beherzte Intervention, um dafür zu sorgen, dass der Dialog nicht in eine Pro- und Contra-Diskussion oder in belehrendes Monologisieren umschlägt. Schließlich findet Horizonterweiterung vornehmlich dann statt, wenn es gelingt, sich neu- und fremdartigen Sichtweisen zu öffnen, anstatt reflexartig darauf zu reagieren. Bewährt haben sich dabei folgende Dialogregeln:

•  Jede/Jeder genießt den gleichen Respekt.
• Ich mache mir bewusst, dass meine „Wirklichkeit“, nur ein Teil des Ganzen ist.
• Ich genieße das Zuhören.
• Ich brauche niemanden von meiner Sichtweise zu überzeugen.
• Ich verzichte darauf, (m)eine Lösung über den Lösungsweg meines Gegenüber zu stellen.
• Wenn ich von mir rede, benutze ich das Wort „Ich“ anstelle von „man“.
• Bevor ich rede, nehme ich mir einen Atemzug Pause.
• Ich rede von Herzen und fasse mich kurz.
• Ich vertraue mich neuen Sichtweisen an.
• Ich nehme Unterschiedlichkeit als Reichtum wahr.

(nach Johannes Schopp: ELTERN STÄRKEN. Die Dialogische Haltung in Seminar und Beratung)

Ein weitere „Zutat“ für einen gelingenden Dialog ist der Einsatz eines Sprechgegenstandes, welcher zu Beginn in der Mitte des Kreises liegt. Wer etwas zu sagen hat, nimmt sich diesen Gegenstand, spricht und legt ihn anschließend wieder zurück. So simpel diese Vorgehensweise erscheint, so tiefgreifend ist ihr Effekt: Befindet sich der Gegenstand in meiner Hand, habe ich nicht nur die „Lizenz zum Ausreden“ sondern kann es mir sogar leisten, kleine Pausen zum Nachdenken einzulegen ohne dass die Gefahr besteht unterbrochen zu werden. Dies führt in der Regel dazu, dass die Beiträge deutlich an Tiefe und Substanz gewinnen und dass das Gespräch jene Verlangsamung erfährt, die für die Qualität echten gemeinsamen Erkundens und Nachdenkens notwendig ist.

Was braucht es für das Begleiten dieser Art von Gruppengesprächen?

Zunächst braucht es – für mich zumindest – eine gehörige Portion Mut, mich als „Studierter“ in eine Gruppe von Eltern zu begeben und die Möglichkeit zuzulassen, dass ich NICHTS weiß – dass ich nicht die Rolle des allwissenden Problemlösers innehabe und dass ich auf die in der Gruppe vorhandene Lebenserfahrung und Weisheit setzen kann, wenn es darum geht Antworten auf drängende Fragen und Probleme zu finden.
Mein Job besteht in der Hauptsache darin, für eine Atmosphäre zu sorgen, die Lust macht, Erlebtes zu teilen, „ins Unreine zu sprechen“ und mehr voneinander zu hören. Immer wieder muss ich entscheiden, ob ich an mich gerichtete Fragen zurück in die Gruppe zu gebe oder ob ich darauf eingehe, weil ich mit meinem Hintergrund eben auch etwas zum gemeinsamen Lernen beitragen kann.
Darüber hinaus gilt es, mich immer wieder im radikalen Respekt vor eigenwilligen Lebensentwürfen und Wertvorstellungen zu üben und meine Annahmen von dem, was wertvoll fürs gemeinsame Lernen ist und was nicht, permanent zu hinterfragen.

Wer sich für die hier erwähnte besondere Qualität von Gesprächen in Gruppen interessiert, dem empfehle ich das Werk „Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen“ des Physikers David Bohm. Das Thema „Dialogische Elternbildung“ lässt sich wunderbar vertiefen mit dem Buch „ELTERN STÄRKEN. Die dialogische Haltung in Seminar und Beratung“ von Johannes Schopp, welches kürzlich in vierter Auflage beim Verlag Barbara Budrich erschienen ist.

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