Was ist Dialog unter freiem Himmel?
Seit Mai dieses Jahres finden die Dialoge unter freiem Himmel am Peißnitzhaus statt – Gesprächskreise zu verschiedenen Themen, offen für alle Interessierten. Immer wieder wird gefragt, worum es sich dabei konkret handelt – deshalb soll an dieser Stelle noch mal eine Erklärung erfolgen, wohl wissend, dass dies nicht der sprichwörtlichen Weisheit letzter Schluss sein muss.
Anliegen dieser Treffen ist es, gute Gesprächskultur in Gruppen zu praktizieren und zu erforschen. Die Teilnehmenden sind eingeladen, sich auf eine spezifische Form des Dialoges einzulassen – eine Form, die für die Verständigung in Gruppen geeignet ist und auf den Physiker und Philosophen David Bohm zurückgeht. Bohm widmete sich in seiner letzten Schaffensperiode dem Dialog als Weg, Vielfalt aufscheinen zu lassen, miteinander zu denken und Lösungen für drängende Probleme zu finden. Die dafür notwendigen Prinzipien machen einen fundamentalen Unterschied zur in unserem Alltag üblichen Diskussion. Schon in der Bedeutung der Worte vermittelt sich dieser Unterschied: Diskussion leitet sich vom lateinischen „discutere“ ab und bedeutet im Wortsinn „zerschlagen, zerteilen, zerlegen“. Im Dialog steckt „dia“ im Sinne von „durch“ oder „hindurch“ sowie der „logos“ in der Bedeutung von „Wort“ oder aber auch „Sinn“.
Im Dialog entsteht also durch das Wechselspiel von persönlichen Beiträgen und aufmerksamem Zuhören ein neuer Sinn, der „durch“ den Kreis der Teilnehmenden „fließt“ und dabei etwas zu Tage fördert, das über die Summe der in den Beiträgen geäußerten Gedanken, Erfahrungen und Ideen hinausgeht – anfangs vielleicht nur selten in besonders glücklichen Momenten, später dann, bei entsprechender Erfahrung und Übung der Teilnehmenden, auch öfter und verlässlicher.
Eine solche Qualität des Austausches basiert auf der Bereitschaft sich auf bestimmte Maximen einzulassen, welche Bohm als „Partizipieren“, „Respektieren“, „von Herzen sprechen“, „Suspendieren“, „Erkunden“, „mein Denken beobachten“ und „Verlangsamen“ bezeichnet:
• „Partizipieren: Wenn ich wirklich zuhöre, kann ich teilhaben an etwas Größerem, ich kann teilhaben am Wesen meiner Gesprächspartnerin, meines Gesprächspartners, und wir können in einen gemeinsamen, erfrischenden Fluss von Austausch eintreten, der im Moment entsteht und nicht aus der Erinnerung erzeugt ist. Das ist Teilhaben am Sein an sich.
• Respektieren: (lateinisch re-spectere: erneut hinschauen, beobachten) bedeutet, auf Abwehr, Schuldzuweisung, Abwertung und Kritik zu verzichten. Alle dürfen so sein, wie sie sind. Jede Idee, jede Meinung ist genauso richtig und legitim wie meine eigenen Ideen.
• Von Herzen sprechen heißt, seine eigene Wahrheit aussprechen. Wir versuchen im Dialog, von dem zu sprechen, was uns wirklich bewegt. Intellektuelle Höhenflüge, abstrakte Abhandlungen und Selbstdarstellungen führen nicht weiter.
• ‚Suspendieren heißt, auftauchende Gedanken und Gefühle zur Kenntnis zu nehmen und zu beobachten, ohne zwangsläufig danach handeln zu müssen.’ (William Isaacs)
Wenn wir unser ‚Wissen‘ als Konstrukte erkennen, können wir im Suspendieren unsere Annahmen und Bewertungen sichtbar machen, sie veröffentlichen, sie vor uns ‚aufhängen‘, sie so in der Schwebe halten und suspendieren: ‚das ist meine Meinung, meine Haltung zum Thema, und ich halte diese mal in der Schwebe und lasse mich weiter auf das ein, was da gesagt wird.’“
• Erkunden: Eine Haltung von Neugierde, Achtsamkeit und Bescheidenheit ermöglicht, Fragen zu stellen, die uns wirklich bewegen und gemeinsam zu erkunden und etwas zu entwickeln, das vorher noch nicht da war und alleine nicht möglich gewesen wäre.
• Mein Denken beobachten bedeutet, zu lernen, dass es keine ‚objektive‘ äußere Realität gibt, sondern dass wir die ‚Realität‘ immer aus unseren eigenen inneren Annahmen, Ideen, Haltungen, Wertungen, Urteilen und Vorstellungen heraus wahrnehmen. Mit der Zeit erkennen wir, wie das Denken funktioniert. Wir realisieren, dass wir mit unseren Gedanken ‚Realitäten‘ erzeugen. Wir gewinnen mehr Distanz zu unseren ‚Sicherheiten‘ und Überzeugungen. Dann gewinnen wir Unabhängigkeit den eigenen persönlichen Programmierungen gegenüber, aber auch gegenüber von kollektiven Annahmen, die uns als Gruppe oder Gesellschaft verbinden. Es wird möglich, das Denken kreativer zu nutzen.
• Den Gesprächsprozess verlangsamen: Um uns in dieser Art selber beobachten zu können, ist es nötig, den Prozess zu verlangsamen. Dann können wir beobachten, welche Reflexe, Reaktionen, Wertungen, Gedanken und Erinnerungen auf eine Aussage einer anderen Person in uns ausgelöst werden. Im Dialog setzen wir dazu einen Sprechstab ein, um den Redefluss zu verlangsamen. Die Regel ist, dass nur die Person spricht, die den Stab in den Händen hält.
(Quelle: www.on-the-move.ch/bohmscher3.htm)
Wer Lust und Neugier verspürt, diesen Lernweg mit uns zu gehen, ist eingeladen zu den aller vier Wochen stattfindenden Treffen am Peißnitzhaus zu kommen.
Die Themen spielen (zumindest im Moment noch) eine untergeordnete Rolle, weil die Aufmerksamkeit gerade sehr auf dem Prozess als solchem sowie auf dem Vertiefen dialogischer Fähigkeiten liegt. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass wir, wenn sich entsprechender Bedarf zeigt, auch aktuelle und drängende Fragen auf diese Weise angehen. So kann die hier entstehende Dialog-Kultur zu einer Ressource innerhalb der hiesigen Landschaft sozialer und politischer Initiativen und Projekte werden.
Im Sinne eines gelingenden Dialoges bitten wir um pünktliches Kommen (Beginn 19 Uhr) und um Präsenz bis zum Schluss (Ende 21 Uhr). Wir empfehlen darüber hinaus, sich mit den auf untenstehender Webseite veröffentlichten Dialogregeln und Hintergrundinformationen vertraut zu machen.
Weitere Informationen: http://www.dialogunterfreiemhimmel.wordpress.com/
Foto: André Gödecke