Welches Paar darf es heute sein?

„Ganz schön viel Unkraut wieder in ihrem Vorgarten, was?“ schnarrt Herr M. im Vorübergehen, während ich tapfer die Harke schwinge. Die Frühlingssonne verdunkelt sich von einer Sekunde auf die andere, und mein Kopfkino fängt an zu rattern:

Herr M. ist eigentlich der Finstere Mokon – Master of Koniferendünger. Er hat sich mit Rasenkanten-Terminator von um die Ecke zusammengetan, um mir das Leben zur Hölle zu machen, weil er ja sonst nichts anderes zu tun hat. Überhaupt ist er ein Fall für die MIB und hoffnungslos krrchhstftschsst mfft uoohrrr, eh!!!

Ohren für Trainings in Gewaltfreier Kommunikation nach M. Rosenberg …

Klarer Fall: Ich habe Wolfsohren auf, welche mich dazu bringen, mit dem Schlimmsten zu rechnen und dem Anderen die übelsten Absichten zu unterstellen. Wolfsohren fokussieren auf das, was mit der anderen Person nicht stimmt oder auf den vermeintlichen Fehler, den sie gerade begeht. Schnell kehrt sich der Fokus auch einmal um: Vielleicht sollte ich doch ab und zu mal den Löwenzahn ausstechen und öfter mal den Rasen mähen? Grrrhmfckstmbäääh!

Langsam reicht es mir – ich setze die Wolfsdinger ab und die Giraffenohren auf.

„Ganz schön viel Unkraut wieder in ihrem Vorgarten, was?“

Nun höre ich NICHT, was Herr M. eventuell über mich denkt. Ich höre NICHT die Kritik, den Angriff, den Vorwurf. Da ist so eine Art Kritik- und Bewertungsfilter eingebaut, der es mir leichter macht, die Aufmerksamkeit auf etwas ganz anderes zu richten:

Was fühlt jemand, der im Vorübergehen diesen Satz sagt, und was treibt ihn um?

Was braucht er? Was ist ihm wichtig?

Während Herr M. sich entfernt, stelle ich, gestützt auf meine Harke, Vermutungen über diese Fragen an: Ganz sicher ärgert er sich. Ist er vielleicht auch frustriert oder sogar traurig?

Geht es ihm um Schönheit und Ordnung?

Möchte er sich wohlfühlen in seiner Nachbarschaft und hätte gerne, dass die Menschen hier seine Ansichten von Schönheit und Ordnung teilen?

Wünscht er sich mehr gemeinsame Ansichten, weil er hofft, dadurch besser in Kontakt zu sein? Was ist ihm überhaupt wichtig im Miteinander hier in der Siedlung?

Beim Nachsinnen bemerke ich mein eigenes Bedauern darüber, dass wir so wenig voneinander wissen und dass es doch ganz schön öde ist, wenn man kaum miteinander redet und jeder mit seinen Vorannahmen für sich bleibt.

Die Giraffenohren richten sich nun also nach innen, auf meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Ich merke, dass mir Freundlichkeit wichtig ist und lebendiger Austausch mit meinen Nachbarn. Verständnis und Nachsicht für die meine geliebte Vorgartenwildnis wären natürlich auch nicht schlecht …

Da kommt Herr M. schon zurück und wir tauchen ein in ein langes Gespräch, in dem sich überraschende Einsichten entfalten. Bei alledem habe ich nun tatsächlich vergessen, die MIB zu alarmieren. Aber das läuft nicht weg – es gibt ja noch den Rasenkanten-Terminator.

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