Vor gut drei Jahren machte ich mich selbständig mit einem Gesprächsformat für Schulklassen bzw. mit Fortbildungen dazu für pädagogische Fachkräfte. Zu Beginn dieses Jahres musste ich mir eingestehen: ES LÄUFT SO GAR NICHT NACH PLAN! Nach einer Phase von Katzenjammer, nach Mentoring, Coaching und einer Neuausrichtung meines Business bei laufendem Betrieb, möchte ich hier über diesen Prozess schreiben.
Ich hatte mich von Beginn meiner Freiberuflichkeit an sehr stark auf den Bereich Schule fokussiert – in Kombination mit einem starken Weltverbesserungsmotiv:
- Mit den ALLE WETTER Kreisgesprächen (So nennt sich das o.g. Format) einen Beitrag leisten zur Humanisierung und Demokratisierung des Bildungssystems
- Progressiven Pädagog:innen eine praktische Handhabe für neue Wege im Umgang mit Konflikten liefern
- … und natürlich von all dem auch leben können.
Seriöse Markt- und Zielgruppenanalyse? Nicht doch!
Nüchternes Abwägen von Risiken und Chancen? Chill mal!
Plan B, falls es doch nicht so läuft, wie erwartet? Locker bleiben, Alter!
Es herrschte Prinzip Hoffnung, denn innerhalb meines damaligen kleinen Universums aus Podcasts, soziologischer Fachliteratur und Vorträgen von Bildungsinfluencern war ich mir sicher, auf der richtigen Spur zu sein! Ich konnte es kaum erwarten, mit meinen Angeboten bei jenen engagierten Pädagog:innen und Schulleitungen, die etwas verändern wollen, die weit, weit offenen Türen einzurennen.
Aber wie gesagt, es kam anders: Das Interesse hielt sich in Grenzen, und die Kooperationen, die ich einging, waren größtenteils enttäuschend. Es war in den meisten Fällen nicht die Förderung von Partizipation oder einer demokratischen Gesprächs- und Konfliktkultur, die man sich von der Zusammenarbeit mit mir erhoffte, sondern das Beheben von Disziplinproblemen.
Nun, da waren sie bei mir ja an den Richtigen geraten …
In den Kreisgesprächen geht es hauptsächlich darum, einen geschützten Rahmen zu schaffen, in dem über das Miteinander in der Klasse, über persönliche Erlebnisse, Gefühle und Bedürfnisse gesprochen werden kann. Sie bieten Raum für ehrlichen Austausch, neue Ideen und ermöglichen es den Schüler:innen, ihre eigenen Gedanken und Vorschläge einzubringen. Die Aufgabe der Pädagog:innen besteht „lediglich“ darin, aufmerksam zuzuhören, die Vorschläge und Ideen aufzugreifen und den Kindern im weiteren Verlauf bei der Umsetzung zu helfen. Trotz klarer Absprachen kam es seitens der beteiligten Lehrkräfte jedoch immer wieder zu „Standpauken“ und lautstarken Zurechtweisungen, wurden die Ideen der Kinder abgewertet oder die eigene Agenda in den Vordergrund gerückt.
Ich versuchte das eine Zeit lang als Einzelfälle oder Ausrutscher zu betrachten. Aber als es sich dann häufte, entschloss ich mich dazu, eine Art Sozialforschung in eigener Sache zu betreiben: Auf Basis einer Recherche zu aktuellen Ergebnissen von Schulforschung erstellte ich einen Fragen-Leitfaden und verabredete mich mit Lehrer:innen zu Interviews: Ich wollte genauer wissen, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert sind und welche Art von Unterstützung sie sich wirklich wünschten: Wo kann ich das Konzept noch optimieren, sodass es den Lehrkräften leichter fällt sich auf diese Prozesse einzulassen?
Es waren durchweg gute und intensive Gespräche, in denen ich noch einmal eine Menge über den Job als Lehrer:in und über die Realitäten innerhalb unseres Bildungssystems lernte. Ich bin meinen Interviewpartnerinnen sehr dankbar dafür – allerdings wurde mir spätestens bei der Auswertung schmerzhaft bewusst:
Das Problem ist systemischer Natur.
Es gibt für mich nichts zu optimieren.
Ich sitze mit meinen Angeboten schlichtweg im falschen Zug.
Beispielsweise stellte sich heraus, dass die Kompetenz „Empathische Haltung und Beziehungsorientierung“, um deren Stärkung es in meiner Arbeit ja schwerpunktmäßig geht, in der Rangfolge der Relevanz für gute Klassenleitung relativ weit unten rangiert. Und nicht nur das: Lehrkräfte, die dem einen zu großen Stellenwert einräumen, kommen erfahrungsgemäß regelmäßig in Schwierigkeiten, weil wirklich ernst gemeinte Beziehungsorientierung auch immer mit einem gewissen Maß an zugestandener Wahlfreiheit einhergeht.
Nun bringt i.d.R. jeder Versuch, Wahlfreiheit innerhalb eines traditionell sehr restriktiven Umfeldes zu ermöglichen, immer erstmal eine Menge Unruhe ins System: Kinder und Jugendliche testen die erweiterten Grenzen aus bzw. drehen erstmal frei, bevor man in echte Kooperation mit ihnen kommt. Der Ärger mit Kolleg:innen, Schulleitung und Elternschaft folgt dann meist auf dem Fuß.
An diesem Punkt angekommen, dachte ich nur noch „Jetzt oder nie!“: Den sprichwörtlichen Zug verlassen und lieber heute als morgen den Umstieg zu bewerkstelligen, inklusive neuer Zielgruppe, neuer Webseite usw. usf. – um am Ende des Tages nicht an der Endstation Bad Pleitenhausen zu stranden!
Zum Glück gibt es für solche Lebenslagen Angebote wie Coaching und Mentoring. Die halfen mir dabei, nicht in Selbstzweifel und Fatalismus zu versinken, sondern den Blick mal ressourcenorientiert auf das zu richten, was ich jenseits von Schule bisher alles „nebenbei“ schon tue: Z.B. Teamdialoge und Mediation in Pflegeeinrichtungen, Supervision, Führungskräftecoachings usw. – und das endlich mal vom Kopf auf die Füße zu stellen und in den Mittelpunkt meines Business zu rücken!
Natürlich hadere ich immer noch ein wenig mit dem Verlust meiner „Mission“ – und das Gebot der Stunde lautet: Trotz deutlich reduzierter Weltverbesserungs-Attitüde jeden Morgen aufstehen, um meinen verdammten Kram auf die Reihe zu bekommen, die geschäftlichen Zahlen im Auge zu behalten – und natürlich immer wieder mein Bestes zu geben für meine Kunden!
Jetzt, ein gutes halbes Jahr nach dem Realitätsschock gehe ich übrigens immer noch an Schulen und mache ALLE WETTER Kreisgespräche bzw. Fortbildungen dazu – allerdings nur noch mit handverlesenen Kooperationspartner:innen und dadurch mit viel mehr Klarheit und Leichtigkeit! Denn die Kreisgespräche sind nun nicht mehr mein wichtigstes Standbein, und somit steht auch nicht mehr alles auf dem Spiel, wenn es mal wieder gewaltig knirscht in der Zusammenarbeit.
Außerdem muss ich inzwischen nicht mehr alles alleine wuppen, denn mir sind auf der bisherigen Reise wunderbare Mitstreiter:innen begegnet, die mir bei der mitunter etwas kniffligen Zusammenarbeit mit den Schulen immer wieder zur Seite stehen:
Netzwerkstelle Schulerfolg Saalekreis
Deutsche Kinder- und Jugendstiftung Sachsen-Anhalt.
Funfact: Ich hatte seit Beginn meiner Selbständigkeit noch nie so viele Anfragen von Schulen wie in diesem Sommer und Herbst.