„Wie jetzt – sind wir hier in der Grundschule?“
… hielt mir neulich eine Führungskraft entsetzt entgegen, als ich in einem meiner Teamdialoge einen Redegegenstand einführte. Ich verstehe das und kann die Sorge, womöglich auf der falschen Party gelandet zu sein, gut nachvollziehen: ES BEGINNT MIT EINEM REDEGEGENSTAND und endet im schlimmsten Fall mit unerfreulichen Anfass-Übungen, Lachyoga oder irgendwas mit Urschrei – keine Ahnung, was die Leute alles schon so erlebt haben in Supervision und Seminar …
Bei allem Verständnis ließ mich aber nicht beirren, lieferte eine sachliche Begründung und bat um Vorschussvertrauen. Denn ob Du es glaubst oder nicht: Ein Redegegenstand ist Magie pur, wenn es darum geht, eine anstrengende Diskussion flugs in einen konzentrierten, anregenden und fairen Austausch zu verwandeln! Darüber hinaus entsteht Raum für Menschen, die eher still, zurückhaltend oder abwägender in ihrer Art zu denken sind. Erfahrungsgemäß kommen Einwände gegen Redegegenstände schließlich überwiegend von Personen, die kein Problem damit haben, sich verbal zu behaupten und die viel und gerne reden.
Landet eine Gruppendiskussion bei einem wirklich bewegenden Thema, nimmt sie oft spürbar an Fahrt auf, und es wird für die einzelne Person immer schwieriger zu Wort zu kommen: Ungeduldig lauern die Gesprächspartner:innen auf die nächste Lücke im Sprechverlauf – i.d.R. ist es das Luftholen, denn geatmet werden muss ja schließlich irgendwann! Viele Menschen behelfen sich dann (meist unbewusst) damit, dass sie ohne Punkt und Komma immer schneller reden, nur um nicht unterbrochen zu werden.
Ich möchte dieses Phänomen gar nicht pauschal verurteilen: So ein Palaver kann sich recht lebendig anfühlen und eine Art von Hitze erzeugen, die es mitunter braucht, um Klarheit zu schaffen und Themen endlich mal beherzt anzugehen. Ab einem bestimmten Punkt jedoch passiert es leider häufig, dass nur noch zwei oder drei Leute auf diese Weise miteinander debattieren und der Rest der Gruppe sich zurückzieht – genervt, verunsichert oder gar innerlich wütend.
Ich meine, eine solche Dynamik schadet der Gesprächsqualität, dem Wohlbefinden der Beteiligten und am Ende des Tages auch dem Ergebnis – klares Plädoyer also für Redegegenstand bei bewegendem Thema in Kombination mit ausgeprägtem Mitteilungsbedürfnis innerhalb der Runde!
Probiere es doch einfach mal aus, z.B. in der nächsten Dienstberatung, in der nächsten Vorstandssitzung oder am Familientisch! Hier noch ein paar praktische Tipps dazu:
- Im Prinzip ist es egal, um welche Art von Gegenstand es sich handelt (Stein, Wurzelholz, Schlüsselbund, abgeschaltetes Handy …). Im Idealfall ist es etwas von persönlicher Bedeutung oder ein Ding, das auf einer symbolischen Ebene mit dem zu besprechenden Thema zu tun hat.
- Es gibt zwei Formen der Nutzung eines Redegegenstandes: Er geht reihum im Kreis oder er kommt zwischen den Redebeiträgen in der Mitte zum Liegen. In den Teamdialogen achte ich für gewöhnlich penibel darauf, dass das Objekt tatsächlich kurz zum Liegen kommt, anstatt dass direkt weitergegeben wird: Das gewährleistet den stillen Moment, die Verlangsamung des Gesprächsflusses und in gewisser Hinsicht auch die Würdigung des vorhergehenden Redebeitrages.
- Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, die beiden o.g. Formen miteinander zu kombinieren: Der Gegenstand kann zu Beginn des Austausches eine Runde herumgehen – z.B. verbunden mit der Frage „Was bewegt dich im Moment?“ So erscheint jede Stimme einmal im Raum, bevor der Austausch zum Thema beginnt und die Menschen kommen miteinander in Verbindung. Auch lohnt es sich, das Objekt am Ende herumgehen zu lassen, um den Teilnehmenden die Möglichkeit zu geben, noch etwas zum Thema zu sagen oder über das Gespräch zu reflektieren. Der Vorteil liegt vor allem darin, dass Personen, die bisher noch nichts gesagt haben, noch einmal Raum bekommen.
Teamdialoge sind übrigens ein Format, dass ich z.B. im Anschluss an erfolgreiche Konfliktbearbeitung durch Mediation auf den Weg bringe, um in regelmäßigem Abstand (z.B. alle sechs Monate) die „Temperatur“ der Zusammenarbeit zu checken und Themen, die quer liegen, besprechbar zu machen. Aber auch ohne vorhergehenden Konflikt wirken die Gesprächsrunden präventiv gegen Dienst nach Vorschrift, Lagerbildung oder Mobbing und tragen insgesamt zu einer besseren Gesprächskultur bei. Alle Informationen dazu findest du hier.