Löwe, Kläffer oder Erdmännchen? Die Macht der Bewältigungsstrategien

Von André

2 Januar, 2025

  • Wie reagierst du bei aufkommenden Konflikten im ersten Moment?
  • Welche Regeln – ausgesprochen oder unausgesprochen – gab es in deiner Herkunftsfamilie zu beachten?
  • Wer bist du in deiner freiesten und mutigsten Version?

Wenn du Lust hast, geh einfach mal mit diesen Fragen! Dabei kommt es vielleicht weniger darauf an, gleich astreine Antworten zu liefern: Ich persönlich fand interessant, welche Gedankengänge und Gefühle in mir aufkamen, als ich mir die Fragen zum ersten Mal bewusst stellte.

Mit meiner Arbeit möchte ich zu einer Welt beitragen, in der man Kindern mit respektvollem Gespür für ihre Bedürfnisse und Grenzen begegnet, in der sie immer mehr Bestärkung und Ermutigung – und immer weniger Zurechtweisung und Anpassungsdruck erfahren. Es sollte selbstverständlich sein, dass ihre Stimme und vor allem ihr NEIN ins Gewicht fallen – denn nur so können sie ein Gefühl von Integrität und gesundem Selbstwert entwickeln. Konflikte wird es in einer solchen Welt natürlich weiterhin geben, aber in den meisten Fällen dann als der Beginn ehrlicher Verständigungsprozesse – mit dem Ziel, wieder miteinander in Verbindung zu kommen und etwas darüber zu lernen, wie Beziehungen besser funktionieren können.

Die heutige Realität in Klassenräumen, Horten, Wohngruppen usw. nehme ich mit Blick darauf als recht vielfältig, dynamisch und „durchwachsen“ wahr: Vieles ist im Umbruch, Altes und Neues existiert nebeneinander her. Insbesondere neuere Erkenntnisse aus Entwicklungspsychologie und Hirnforschung sprechen sich zunehmend herum und sorgen mancherorts für Humanisierung und neue Wege im Umgang mit Konflikten. Aber auch jede Menge unhinterfragte Erziehungsmaximen aus Kaisers Zeiten – oft in unheiliger Allianz mit spätkapitalistischem Leistungsdenken – tragen weiterhin munter zur Reproduktion patriarchaler, also himmelschreiend ungerechter und traumatisierender Verhältnisse bei.

Letzteres schlägt sich nieder in den Resultaten der autoritären Prägung, welche die allermeisten von uns erfahren haben: Gemeint sind Bewältigungsstrategien, die wir früh entwickeln mussten in Umgebungen, in denen unsere Bedürfnisse und unser NEIN keine Aufmerksamkeit und Akzeptanz erfuhren. Sie halfen uns  zurechtzukommen und psychisch und sozial zu überleben. Die Bewältigungsstrategien lassen sich auf Skalen anordnen, z.B.:

Unterordnung – Dominanz
Anpassung – Rebellion
Schmeichelei – Aggression

Sie prägen mehr oder weniger unser heutiges Verhaltensrepertoire in Konflikten und anderen herausfordernden Situationen. Gelingt es uns nicht, sie ins Bewusstsein zu heben und gemeinsam neue, gleichwürdigere Formen des Umgangs zu entwickeln, werden sie uns einengen, unsere Weiterentwicklung blockieren und das Miteinander erschweren. Unreflektierte Bewältigungsstrategien in pädagogischen Kontexten, Unternehmen und Behörden erzeugen Machtkämpfe, zementieren vorhandene Ungleichheit und sorgen für den Verlust von Integrität bei allen Beteiligten. Dies kann sich z.B. in autoritärem Gebaren zeigen, aber häufig auch in Formen von Scheindemokratie, wo unterhalb der Oberfläche von scheinbarer Harmonie oft Machtspiele laufen, welche am Ende dann doch zu offener Willkür und Entzweiung und führen.

Statustypen

Besonders interessant wird es, wenn wir uns unter dem Gesichtspunkt der verinnerlichten Bewältigungsstrategien einmal Führungspersönlichkeiten und -stile anschauen. Wobei ich den Begriff „Führung“ hier sehr weit fassen würde: Es geht nicht nur um den Abteilungsleiter oder die Geschäftsführerin, denn bspw. auch Eltern oder Pädagog:innen bekleiden ja Führungsrollen – bis dahin, dass wir von „Selbstführung“ sprechen können, wenn es um das Erreichen persönlicher Ziele oder die Bewältigung des Alltags geht.

Ich möchte hier die von Maike Plath identifizierten Statustypen vorstellen – und dabei an die Statuslehre mit den beiden Polen Hoch- und Tiefstatus anknüpfen (Hier findest du den Artikel aus dem vorhergehenden Newsletter dazu): Hoch- und Tiefstatus lassen sich mit Blick auf Führungsstile sowohl im Innen, als auch im Außen verorten: „Außen“ beschreibt hier die mehr oder weniger bewusst erzielte Wirkung auf andere Personen. „Innen“ meint dagegen das von der Führungsperson subjektiv empfundene „Standing“ bzw. die Ausprägung ihres Selbstwertgefühls.

Statustyp Löwe (außen hoch/innen hoch)

Gemeint ist der männliche Löwe, welcher die meiste Zeit auf einem Felsen liegt und darüber wacht, dass keine Konkurrenz sich nähert. Er ist sich seiner Macht/seiner Kompetenz/seiner Überlegenheit bewusst (innerer Hochstatus) und lässt das andere Personen mithilfe respekteinflößender Strategien (äußerer Hochstatus) spüren, z.B.

  • sich viel Raum nehmen
  • einen Großteil der Redezeit beanspruchen
  • das Thema bestimmen
  • Distanz senden
  • Ruhe und Haltung bewahren, ab und aber auch mal laut werden
  • andere Personen bewerten und Urteile fällen
  • das Gegenüber ignorieren/dominieren/manipulieren …

In der Löwenwelt sind Konflikte dafür da, sie zu gewinnen. Typ Löwe ist bei seinen Mitmenschen nicht unbedingt beliebt, aber er erzeugt Respekt und Vorsicht. Dass er sehr von sich überzeugt ist, heißt jedoch nicht unbedingt, dass er sich gut reflektieren kann und mit seiner eigenen Gefühlswelt vertraut ist.

Statustyp Kläffer (außen hoch/innen tief)

Bei ihm wissen wir oft nicht, woran wir sind: War der Kläffer eben noch freundlich und zugewandt, rastet er im nächsten Moment wegen eines scheinbar nichtigen Anlasses aus! Tiefer liegende Unsicherheit und niedriges Selbstwertgefühl (innerer Tiefstatus) versucht er mit einer machtvollen Fassade und Drohungen (äußerer Hochstatus) zu kompensieren – genau wie diese kleinen Hunde, die uns einen Schrecken einjagen, wenn sie laut losbellen, aber innerlich in diesem Moment wohl voller Angst sind. Die Diskrepanz zwischen großspurigem Auftreten und innerer Unsicherheit bleibt den Mitmenschen meistens nicht verborgen, was dazu führt, dass der Kläffer nicht nur unbeliebt ist, sondern oft einfach nicht ernst genommen wird. Dies wiederum verschärft auf tragische Weise sein Dilemma und veranlasst ihn dazu, bestehende Konflikte immer weiter zu eskalieren, als gäbe es kein Morgen. Wo Kläffer als Chefs oder Chefinnen agieren, herrscht meist Klatsch und Tratsch, Frontenbildung und permanentes Drama.

Statustyp Erdmännchen (außen tief/innen tief)

Sicher hast du im Zoo schon einmal gesehen, dass Erdmännchen für gewöhnlich in Gruppen auftreten und immer eines von ihnen die Umgebung scannt, um die Anderen sofort warnen zu können, falls sich Gefahr nähert. Ihr evolutionärer Vorteil liegt darin, aufeinander zu achten, ständig Körperkontakt herzustellen und sich aufmerksam umeinander zu kümmern. Nicht nur, aber in meiner Wahrnehmung ziemlich oft, ist Typ Erdmännchen im sozialen Bereich anzutreffen. Supervisor:innen können ein Lied singen von Teams, die betonen, dass sie „wie eine große Familie“ sind und dass sie Phänomene wie „Diskrepanzen“ oder „Streit“ nur in der bösen Welt außerhalb des Teams erleben. Erdmännchen verfügen tendenziell über kein hohes Selbstwertgefühl (innerer Tiefstatus) und wollen auch nicht allzu selbstbewusst rüberkommen (äußerer Tiefstatus): Nur nicht in den Verdacht geraten, als „etwas Besseres“ erscheinen zu wollen! Denn als Gleiche:r unter Gleichen, verbunden in trauter Harmonie sind Erdmännchen weitgehend vor Konflikten geschützt. (Diese nehmen sie stets als Bedrohung wahr.) Das Miteinander in der Erdmännchenkolonie fühlt sich deshalb erstmal ziemlich gut an, weil es von Empathie, Rücksichtnahme und gegenseitiger Unterstützung getragen ist. Das Problem: Erdmännchen können nicht führen, weil Führen ab irgendeinem Punkt immer auch Konflikte mit sich bringt. So geschieht es häufig, dass innerhalb von Erdmännchen-geführten Teams latente Konflikte über lange Zeit gären, bis sie irgendwann mit großer Wucht an die Oberfläche treten – um dann erst recht ein riesiges Durcheinander zu stiften.

Ausblick

Die drei Statustypen sind, wie gesagt, das Ergebnis der oben beschriebenen verinnerlichten Bewältigungsstrategien infolge autoritärer Prägung. So plakativ und in Reinform, wie ich sie hier dargestellt habe, existieren sie i.d.R. nicht: Jede Person trägt Anteile davon in sich, und sie stehen symbolisch für weitgehend unreflektierte Verhaltensmuster. D.h. sie rufen eigentlich nach Weiterentwicklung und nach so etwas wie Erlösung im Sinne eines gleichwürdigen und kooperativen Miteinanders, wo sowohl Führungspersonen als auch Mitarbeiter:innen oder Kinder und Jugendliche ihre Würde und Integrität wahren können. Diese anzustrebende Qualität findet sich in einem vierten Statustyp wieder, welcher auch wieder symbolisch durch ein Tier repräsentiert wird – gewissermaßen als Entwicklungsziel!

Worin diese Qualität besteht und welchem Tier sie zugeordnet wird, lieber Leser, liebe Leserin, wird Thema des nächsten Newsletters sein – denn es soll ja auch ein bisschen spannend bleiben. Bis dahin wünsche dir  Erkenntnisgewinn beim genauen Beobachten von Löwen-, Kläffer- und Erdmännchenverhalten in deinem Umfeld (oder bei dir selbst). Wenn du Lust hast, dir die Statuslehre praktisch zu erschließen, komm gerne in meinen im April geplanten Workshop!

Hier geht´s zum Veto-Institut